Offenbarungscharakter und Autorität der Bibel

Als Theologiestudent hatte ich mich mit der radikalen Bibelkritik Rudolf Bultmanns und seiner Schüler auseinanderzusetzen. Die Autorität der Bibel wurde durch die Infragestellung der historischen Zuverlässigkeit der biblischen Berichte und durch Bezweiflung des neutestamentlichen Kanons als Wort Gottes untergraben. Damals, 1963, erschien das Buch des niederländischen Theologen, Herman Ridderbos, Begründung des Glaubens – Heilsgeschichte und Heilige Schrift, R. Brockhaus Verlag Wuppertal. Dieses Buch hat mir entscheidend geholfen. Ich hüte es bis heute in meiner Bücherei.
Mit großer Freude begrüße ich, dass der Verlag VERBUM MEDIEN dieses Buch jetzt neu aufgelegt hat. https://verbum-medien.de/products/begrundung-des-glaubens Herman Ridderbos (1908- 2007) war Professor für Neues Testament an der Theologischen Hochschule in Kampen, Niederlande.
In der Einleitung schreibt Ridderbos: „Die Theologie sieht sich immer wieder vor die Frage nach der Autorität der Heiligen Schrift gestellt. Die meisten Theologen unserer Zeit antworten darauf, dass die Heilige Schrift an sich keine göttliche Autorität besitze und dass diese nur ihrem Inhalt zukomme. Das Kennzeichnende an dieser Auffassung ist nicht, dass sie jede Offenbarung schlechthin leugnet, wohl aber, dass sie einen prinzipiellen Unterschied zwischen Offenbarung und Heiliger Schrift macht. Die Bibel ist demnach nur menschliche Urkunde als Beschreibung göttlicher Offenbarung oder, wie man gegenwärtig zu sagen pflegt, ihr menschliches Zeugnis. … Der Schrift an sich komme keine Offenbarungsqualität zu.“ (S.15f)
Ridderbos vertritt und begründet seine Gegenthese: „Die Heilige Schrift hat eine Geschichte. Sie ist ein Produkt von Gottes Offenbarungshandeln in der Heilsgeschichte. … Die Bedeutung der Bibel und das Wesen ihrer Autorität können also nur dann richtig verstanden werden, wenn man die Schrift eng mit der Heilsgeschichte verbindet…. Die vorliegende Arbeit bemüht sich daher nicht darum, den Glauben auf einen anderen Grund als den der Bibel zu stellen, sie möchte nur das Wesen der Heilsgeschichte näher ergründen, oder anders ausgedrückt: den Zusammenhang zwischen Heilsgeschichte und Heiliger Schrift aufdecken.“ (S.21f)
Wesentlich ist nach Ridderbos die Rolle der von Jesus berufenen Apostel. „Ohne alle Seiten des Apostolats hier behandeln zu können, sei festgestellt, dass die Apostel in der Geschichte des göttlichen Heilshandelns eine einmalige, nicht wiederholbare Stellung einnehmen. Vor allem haben sie die Aufgabe, Fundament der Kirche zu sein, denn sie sind nicht nur Empfänger, sondern auch Träger und Organe der Offenbarung, an die Christus für alle Zukunft seine Gemeinde bindet und auf der er sie gründet und baut.“ (S.58)
Ausführlich entfaltet Ridderbos die Geschichte der Entstehung des Neuen Testaments und kommt zu dem Schluss: „Nicht die Kirche hat den Kanon, sondern der Kanon hat die Kirche geschaffen.“ (S.131)
Den Herausgebern der neuen Ausgabe – Ron Kubsch hat zusammen mit Joachim Guhrt neu aus dem Niederländischen übersetzt, Ron Kubsch hat eine hilfreiche Einleitung geschrieben – gebührt besonderer Dank dafür, dass sie jetzt auch das letzte Drittel des Buches übersetzt und veröffentlicht haben, das in der früheren deutschen Ausgabe von 1963 fehlte. Unter der Überschrift „Die Autorität des Neuen Testamentes“ wird darin der „heilsgeschichtliche Charakter der Autorität“ mit den drei Kategorien Kerygma (Verkündigung der Erlösung), Martyria (Zeugnis der Erlösung) und Didache (Lehre von der Erlösung) beschrieben.
Dieses Buch ist eine wichtige Hilfe in den gegenwärtigen Auseinandersetzungen.
Ulrich Parzany