Wenn Fundamente wegbrechen

Pfarrer Dr. Rolf Sons arbeitete seit 2004 im Albrecht-Bengel-Haus in Tübingen, seit 2009 als dessen Rektor. Er wechselt im September  als Pfarrer in die Evangelische Kirchengemeinde Flein bei Heilbronn. Wir wünschen ihm Gottes Segen für seinen neuen Dienst. Dr. Rolf Sons ist Mitglied des Fortsetzungskreises des Netzwerks Bibel und Bekenntnis. Der hier wiedergegebene Artikel erschien in diesem Sommer auch in der Zeitschrift „Theologische Orientierung“ des Bengel-Hauses.

„Sie reißen die Grundfesten um; was kann da der Gerechte ausrichten?“ (Ps 11,3)

Wer sich in Zeiten toleranter Beliebigkeit mit Fundamenten
beschäftigt, hat es nicht leicht. Schnell  steht er in der
Gefahr, als Fundamentalist bezeichnet zu werden. Als jemand, der rückständig, festgefahren, intolerant und mitunter sogar gewaltbereit ist. Wer jedoch genauer hinschaut, wird merken, dass
unsere Welt ohne Fundamente nicht auskommt. In einer Welt ohne Fundamente gibt es nichts Tragendes. Ohne fundamentale Werte, wie etwa die 10 Gebote es sind, ist alles möglich. Ohne Fundamente sind wir der Beliebigkeit ausgeliefert. Fundamente sind gesetzt und besitzen göttlichen Grund. Sie bestehen jenseits von menschengemachten Ideologien. Sie verfliegen nicht mit dem Wind des Zeitgeistes. Sie verleihen Lebensgrund.Ehepaar

Das in der Überschrift zitierte Psalmenwort beschreibt allerdings einen erschütternden Vorgang. Die Fundamente, der Grund auf dem alles Zusammenleben der Menschen, der Glaube und das Leben ruhen, das Recht und die göttliche Gerechtigkeit, werden eingerissen. Was Gott als Grundlage den Menschen gegeben hat, unterliegt der Zerstörung. Wer sich an den Fundamenten vergreift, vergreift sich an Gottes unverbrüchlichen Ordnungen.

Mir geht es im Folgenden nicht darum, die guten alten Zeiten herbeizusehnen und den gesellschaftlichen Wandel zu beklagen. Seit den Ur-Tagen der Menschheit wird an den Fundamenten gerüttelt, und die „gute alte Zeit“ gab es vermutlich nie. Was mir jedoch auffällt ist, in welchem Tempo und in welchem weltweiten Horizont Fundamente systematisch untergraben werden. Dazu die folgenden Beobachtungen:

 

  1. Die Dekonstruktion der Geschlechter

Ich bin als ein Junge aufgewachsen. Ich hatte das Glück, einen starken Vater und eine warmherzige Mutter zu haben. Meine Eltern und ich selbst wären nie auf den Gedanken gekommen, dass ich etwas anderes als ein Junge bin und nie hätten sie daran gedacht, mir eine andere geschlechtliche Identität als Option anzubieten oder mich in diese Richtung zu erziehen. Nun aber hat die „Gender-Wissenschaft“ festgestellt, dass es sich ganz anders verhält. Nämlich, dass jeder Mensch unterschiedliche geschlechtliche Identitäten annehmen kann und zwischen diesen hin und her wechseln kann. Die Zweigeschlechtlichkeit der Menschheit wird komplett geleugnet. Die geschlechtlichen Identitäten seien fließend, sich im Übergang befindend und daher frei wählbar. Homosexuelle, bisexuelle, transsexuelle, transgender, intersexuelle und anderen Prägungen gelte es entsprechend gleichberechtigt nebeneinander stehen zu lassen. Schon im Kindergarten sei darauf zu achten, dass man die Kinder nicht in die Schubladen „Jungs“ oder „Mädchen“ stecke. Vielmehr soll man sie auf dem Weg begleiten, ihre eigene sexuelle Präferenz herauszufinden.

Nun kann man natürlich sagen, dass die wissenschaftliche Entwicklung weiter gegangen ist. Und was meine Eltern und ich selbst als kleiner Junge damals nicht wussten, sei heute ein überholter Kenntnisstand, an dem man sich nicht mehr orientieren dürfe. Daher müsse man das hinzugewonnene Genderwissen in Erziehung und Schule auch konsequent anwenden. Was plausibel klingen mag und in Elternseminaren von „pro familia“ genauso propagiert wird, ist jedoch grundverkehrt. Genau hier vollzieht sich nämlich eine Destruktion von Fundamenten. Die sogenannte Gender-Wissenschaft widerspricht mit ihrer Sicht und Bewertung von sexueller Identität dem biblischen Menschenbild. In der Schöpfungsgeschichte heißt es, dass Gott den Menschen als Mann und Frau geschaffen hat und dass sie in ihrer Polarität auf den dreieinigen Gott zurückweisen. Diese Grundstruktur des Menschseins, das in der Unterschiedlichkeit von Mann und Frau besteht, lässt sich nicht nach Belieben definieren oder neu erfinden. Man findet sie vielmehr vor.

Menschsein verwirklicht sich nicht durch Wahl oder Selbstdefinition, sondern im Annehmen des Gegebenen. Wo Kinder aber auf der Grundlage des Gegebenen erzogen und darin bestärkt werden, fördert man ihre Persönlichkeit und trägt nicht zu deren Verunsicherung bei. Die „neue Landkarte“ multipler sexueller Identitäten wird dagegen die Identitätsproblematik Jugendlicher nicht lösen, sondern nur vergrößern und erschweren. Die Gender-Theorie wird auf lange Sicht keinen Bestand haben. Doch wird sie solange man sich an ihr orientiert und mit ihr experimentiert, eine Menge Schaden anrichten.

 

  1. Die Relativierung der Ehe  

„Je mehr die monogame, heterosexuell orientierte, lebenslange Ehe in die Krise gerät, umso stärker wächst die Anzahl ihrer – oft fundamentalistischen, evangelikalen oder konservativen – Verteidiger.“ So schreibt der evangelische Pfarrer und Professor für Praktische Theologie Godwin Lämmermann in einem Beitrag für das evangelische Magazin Zeitzeichen vom 2. Juli 2013. Bemerkenswert an dieser Äußerung ist zweierlei. Zum einen werden die Verteidiger der Ehe als fundamentalistisch oder zumindest  als konservativ abgestempelt. Wer sich also zu den guten Ordnungen Gottes stellt, findet sich schnell in irgendwelchen Schubladen wieder. Zum anderen wird die Krise der Ehe mit Attributen wie monogam, heterosexuell und lebenslang in Verbindung gebracht. So wird der Eindruck erweckt, als ob die Krise der Ehe an ihrer Zweigeschlechtlichkeit liege und neue Formen ehelichen Zusammenlebens in der Lage wären, diese Krise zu überwinden. Die Ehe von Mann und Frau wird, wenn man das Interview weiter liest, als eine Zwischenstation innerhalb der Kulturgeschichte betrachtet. Sie kann sich wandeln und immer wieder neue Formen annehmen.

Was übersehen wird, ist der Charakter der Ehe als eine göttliche Setzung. Luther nannte die Ehe einen „Stand, der in Gottes Wort“ gefasst ist und meinte damit, dass Gott die Ehe durch sein Wort geschaffen hat und auch durch sein Wort erhält. Die damit beschriebene Ständelehre Luthers wird innerhalb der heutigen Theologie verschmäht, da man sie für zu unflexibel hält. Sie betone zu sehr das Vorgegebene und zu wenig den menschlichen Gestaltungsspielraum. Luther hatte das keineswegs so verstanden. Gerade als „fester Stand“ bietet die Ehe seiner Meinung nach einen Freiraum, den Glauben und die Liebe zu leben. Was die oben skizzierte Argumentation zusätzlich von Luther unterscheidet, ist folgendes. Die Ehe von Mann und Frau wird kulturgeschichtlich und nicht theologisch betrachtet. Was man von einem Theologen eigentlich erwarten könnte, nämlich dass er die biblische Sicht mit der Kultur ins Gespräch bringt, geschieht nicht. Stattdessen wird die Kultur zum Kriterium für theologische Aussagen.

Noch stellt unser Grundgesetz die Ehe zwischen Mann und Frau als alleiniges Leitbild heraus. Doch mehren sich die Forderungen: „Es wird heute hetero-, homo- oder bisexuell, als Paar, zu mehreren oder auch allein gelebt. … Der Staat hat alle Lebensformen Erwachsener rechtlich und finanziell gleich zu behandeln.“[1]

Nun mag man angesichts der Dekonstruktion von Ehe und Familie in Staat und Gesellschaft traurig den Kopf schütteln. Aber auch die Kirchen halten dem Druck, die Segnung bzw. Trauung der „Homo-Ehe“ einzuführen, immer weniger stand.

 

  1. Die Aushöhlung der Familie

Betrachtet man die bisherige Entwicklung, so ist es nur konsequent, wenn auch das Verständnis von Familie neu definiert wird. Befürworter der sog. „Homo-Ehe“ zielen nicht nur auf deren rechtlich völlige Gleichstellung mit der Ehe zwischen Mann und Frau. Sie suchen auch das Verständnis der Familie neu zu bestimmen. Nicht mehr die Ehe von Mann und Frau, die auf Kinder angelegt ist, steht im Zentrum des Familienbegriffes, sondern die „Verantwortungsgemeinschaft“, die alle umfasst, die für Kinder sorgen. Dazu gehören Alleinerziehende, ehelos Zusammenlebende, Patchwork Familien, „Regenbogenfamilien“ und Großfamilien und auch die traditionelle Kleinfamilien.

Nun können unterschiedliche Lebensumstände, Schicksal oder Scheitern, dazu führen, dass Ehen und Familien zerbrechen. Neue Formen des Zusammenlebens wie etwa eine Patchwork Familie oder auch, dass ein Elternteil die Kinder alleine erzieht, etablieren sich. An dieser Stelle bedarf es gerade von kirchlicher Seite Verständnis und Annahme.

Folgenschwer aber bleibt es, wenn durch den Begriff der Verantwortungsgemeinschaft die Zeugung von Nachkommen aus der Geschlechterspannung von Mann und Frau herausgenommen wird. Der traditionelle Familienbegriff als aus der Ehe von Mann und Frau entstehende naturgegebene Gemeinschaft von Eltern und Kindern wird auf diesem Wege Stück um Stück aufgelöst.

Reproduktionsmediziner, schwul-lesbische Gruppen und andere setzen sich für Samenbanken, freien Zugang zu diesen auch für homosexuell lebende Paare, für Eizellspende und Leihmutterschaft ein. Für Frauen gibt es bislang in Deutschland außerhalb der Ehe keinen freien Zugang zu Samenbanken. Die Vertreter des neuen Familienbildes halten dies für diskriminierend.

Wie die Ehe so ist auch die Familie eine von Gott gesetzte Ordnung und Gabe (vgl. 1Mo 2,24; Ps 127,3). Sie lässt sich nicht erzwingen. Als Gabe Gottes ist die Familie ein Raum, in dem Vertrauen und Sozialität, Glaube und Liebe eingeübt werden sollen. Biblisch gesehen ist Familie Ausdruck des Segens Gottes (Ps 128,5f).

Wer Fundamente einreißt, wird über kurz oder lang Schaden verursachen. Jesus beschreibt in einem Bildwort, wie dramatisch es zugehen kann, wenn sein Wort nicht mehr gehört und danach gelebt wird (Mt 7, 24-27). Sein Wort macht Mut, Fundamente zu bewahren, eine Ehe einzugehen, eine Familie zu gründen, dafür zu kämpfen und dafür zu beten.

 

Dr. Rolf Sons, Rektor

[1] Zitiert nach Christl Vonholdt, Die Dekonstruktion von Ehe und Familie, in: http://www.dijg.de/ehe-familie/dekonstruktion-geschlechter-queer-studies/